Betrunken, dreckig, taub, glücklich

Vor vielen, vielen Jahren fing ich an mich für Musik zu interessieren. Nach meiner ersten selbst gekauften Single  (Kiss, Hard Luck Woman) die ich heute noch in Ehren halte, wuchs in mir der Drang die Musiker in echt zu sehen. Später fing ich sogar an selbst Musik zu machen, der Bass hatte es mir angetan. Dabei entwickelte sich ein anderer Blick auf Musik und Konzerte. Man ging zu Konzerten und beobachtete Handwerker bei ihrer Arbeit.

Mittlerweile durfte ich schon bei vielen Konzerten als Gast dabei sein, ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung wieviele Konzerte ich schon sah. Große, kleine, gute, schlechte, absichtliche und sogar zufällige. Aber einige blieben doch sehr stark in Erinnerung, auch welchem Grund auch immer.

Das erste:

Mein erstes Konzert war die Spider Murphy Gang. Ich war zarte 14 Jahre alt und großer Fan. Als sie nur 30 Kilometer weiter gastierten, ließ ich mich mit einem Schulfreund von meinen Eltern hin fahren und wieder abholen. Noch nie hatte ich so viele Menschen auf einem Haufen gesehen, die Musik war großartig, wie auf der Schallplatte. Nur besser, denn wir konnten mit unseren Idolen gemeinsam die Lieder mit singen. Und wir kannten sie alle. Das letzte Lied war „Skandal im Sperrbezirk“, das durfte einfach nicht fehlen. Dabei haben sich alle Roadies als Rosi verkleidet und hingen an Streben, tanzten auf der Lichtbrücke und den Boxen. Es war ein Rausch. Wie beim ersten Sex, alles war viel zu schnell vorbei.

Das beste:

Ohne Frage Pink Floyd. Mittlerweile schon lange Konzerterfahren pilgerten wir in einem gemietetem VW-Bus nach Stuttgart ins Neckarstadion. Es war sonnig, warm, der eingeschmuggelte Weinschlauch kreiste und nicht alle Zigaretten waren so ganz legal. Als es dunkel wurde fing es an mit „Shine on you crazy diamon“. Was dann folgte war ein Spektakel ohne gleichen. Laser, Lichtshow, Leinwand, fliegende Schweine, über das Stadion rasende Betten einfach unglaublich. Das bombastische Intro zu „Sorrow“ in angemessener Lautstärke (also richtig laut) und live fuhr einem dermaßen in den Bauch, das es fast schon obszön war. Die Stimmung war perfekt, die Musik Wahnsinn und die Show unvergleichlich.

Das schlechteste:

Da muss ich erstmal nachdenken, denn eigentlich waren alle Konzerte gut. Aber eines fiel dann doch aus allen Rahmen, das berühmte Schuppenkonzert von Bodycheck. Eine lokale Band mietete einen Schuppen und spielte dort auf. Die Stimmung war eigentlich super, das Bier floß in Strömen, vor allem bei der Band. Obwohl sie abgedichtet waren wie Luis Trenkers Rucksack schafften sie es fehlerfrei zu bleiben. Zudem war es übermäßig laut. Nach einer Pause wurde der Schlagzeuger hinter seine Schießbude gestopft, da er kaum noch laufen konnte, spielte aber wie ein junger Gott. Das wäre bei mir unter ferner liefen abgeheftet worden, aber damals war ich Teil der Band und spielte den Bass.

Das lauteste:

Billy Idol. Meine Herren, das war schon richtig heftig. Das Konzert war sehr cremig, es wurden neue und auch alte Sachen gespielt. Aber nur die alten kamen beim Publikum richtig an. Im Schnitt knapp 50, einige hatten ihre alten T-Shirts ausgegraben, die nur mit Mühe die Alterswampe verdecken konnte. Billy Idol hatte natürlich Steve Stevens dabei, einen lebendigen Gitarrengott. Obwohl schon so 60 Lenze, ist es erstaunlich wie durchtrainiert Billy ist. Er und Steve sprangen über die Bühne, als ob es kein Morgen gibt. Von unserem Platz konnten wir hinter die Bühnenboxen sehen, wo sich Steve ein Bier gönnte. Während er mit der linken Hand nur noch Tappings spielte. Allerdings war das alles so was von Laut, wir standen alle kurz vor einem Hörstürz. Noch Tage später klingelte es in meinen Ohren. Geil war es trotzdem.

Das intimste:

Eines Tages rief mich mein Gitarrist an und fragte, ob ich zu Colin Wilkie mit gehe. Da ich ihn nicht kannte beschrieb er mir seinen Musikstil und ich sagte zu. Es war ein großer Gastraum eines Naturfreundehauses am Arsch Rande der Welt. Wir zahlten Eintritt und waren abgesehen vom Kassierer, der Bedienung und einem älteren Herrn der mit dem Kassierer redete allein. Dann kamen noch drei weitere Gäste und setzten sich zwei Tische weiter. Ziemlich pünktlich ging der ältere Herr zu den Gitarren, setzte sich und fing an. Nach zwei Liedern meinte einer vom Nebentisch, ob es sich denn für ihn lohnen würde, aber Colin meinte nur, das er schon vor weniger Leuten gespielt hat. Nach einer Stunde war es dann allerdings voll. Etwa 40, 50 Zuhörer waren gekommen und man kam von Publikum zu Künstler ständig in einen Dialog. Die Musik selbst war gut, es war in Richtung Folk und lustige Geschichten, aber noch besser waren die Unterhaltungen mit Colin zwischen den Liedern, alle Fragen wurden beantwortet und selbst erzählte man Colin auch von sich. Es war unvergesslich.

Das romatischste:

Wenn man James Morrison hört, dann hört man „Frauenverstehermusik“. Bei seinem Konzert bei dem ich mit meiner besseren Hälfte war, fand sich ein seltsames Publikum ein. 50% Frauen mit Freundin, 30% Frauen alleine, 20% Frauen die ihren Mann teils mitgeschleift hatten, teils waren die Männer dabei damit die Mädels nicht in Ohnmacht fallen. Ich war der einzigste der wegen der Musik da war. An sich war das Konzert gut, James hatte Spaß mit dem Publikum, erzählte Anekdoten und singen kann er wirklich. Im Grunde macht er anspruchslose Popmusik, aber hey, die macht er gut. Auf jeden Fall habe ich mich musikalisch gut unterhalten gefühlt und das ist doch die Hauptsache. Wenn ich Anspruch will, dann höre ich Lämmerhirt und Dylan.

Das öfteste:

Ein guter Handwerker an der Gitarre und Songschreiber ist Mark Knopfler. Ich habe ihn jetzt schon sehr oft live gesehen, da er als Fan von Porsche gern nach Stuttgart kommt, wo ich nicht weit weg wohne. Ein grandioser Sänger ist er beileibe nicht, aber er schafft es jedesmal sein Repertoir neu zu arrangieren. Da kann es passieren, das alles im Shuffle-Rhythmus gespielt wird oder Schottland bis in die kleinste Note zu hören ist. Begleitet wird er stets von brillianten Musikern, Könnern ihres Faches. Zwischen den Liedern bleibt er spärlich mit Ansagen und Anekdoten, aber seine Stücke erkennt man schon während des ersten Taktes. Eine große Show bietet er nicht, das hat er auch nicht nötig, seine Musik spricht für sich selbst und braucht keinen Schnickschnack ausenrum. Obwohl er der Chef auf der Bühne ist, bekommt dennoch jeder Musiker seinen Freiraum und Mark überläßt ihnen Teile seiner Stücke ohne ihn zu gestalten. Denn ohne seine Band klingt das nicht mehr so gut und das weiss er.

Das größte:

Würzburg, Regen, 140.000 Menschen und ich mittendrin. Kaum eine andere Band hat ihr Genre und Zeit so geprägt wie Guns’n’Roses. Die Auswahl ihrer Stücke war sehr gut, das ganz aggressive Zeug haben sie weg gelassen. Gespielt haben sie schon nicht schlecht, der Sound war auch gut. Aber das lag daran, das wir direkt vor der PA (das Mischpult mit dem alles ausgesteuert wird) waren. Während des Schlagzeug Solos ging hinter der Bühne ein Gewitter runter, es war unbeschreiblich. Ein Solo und dahinter zuckten die Blitze. Irgendwann waren wir vom Regen völlig durchnäßt und es wurde saukalt. Den Jungs von der PA bin ich heute noch sehr dankbar, die versorgten uns mit heißem Kaffee und Butterbrezeln. Und egal wo man hinschaute, überall Menschen, ein Meer an Köpfen die ihren Idolen huldigen. Getrennte Toiletten gab es nur in der Theorie und das auch noch viel zu wenig. In der Praxis standen und hockten auserhalb des offiziellen Feldes Männlein und Weiblein friedlich nebeneinander und trugen ihr Bier oder Kaffee weg. Nach dem Ende mussten nun alles gleichzeitig wieder weg, was vorher nach und nach kam. Erst nach gefühlten Stunden kamen wir in der WG an, in der übernachteten. Völlig durchnäßt, dreckig von oben bis unten (Meine Schuhe schmiss ich anderntags weg), aber glücklich.

Das zukünftige:

Ich durfte schon viele Musiker live sehen. Einige würde ich gerne wieder sehen. Und viele fehlen noch in meiner Sammlung. Keb Mo, David Gilmour (Solo), Kate Bush (unwahrscheinlich), Badly Drawn Boy, Neil Young, Rammstein, Tori Amos, Counting Crowes, David Bowie, The Northern Pikes, Peter Frampton, AC/DC, Wolfmother und noch viele mehr. Es müßen aber nicht immer die „großen“ sein, ich gehe auch sehr gerne auf Konzerte von den „kleinen“, weil es da noch einen guten Kontakt zwischen Künstler und Publikum gibt. Im Zweifel gebe ich wiedermal das kleinste Konzert der Welt. Ich an der Gitarre und das Publikum ist die Katze.

konzert

Rockmusik ist Lärm

Mach jetzt endlich diesen verdammten Krach leiser!
Wie oft habe ich mir das als Jugendlicher anhören müßen. Nur weil ich gute Musik in angemessener Lautstärke gehört habe. Gute Musik ist für mich Rockmusik in vielen Formen. Sei es Classic Rock, Bluesrock, Heavy Metal oder Glamrock. Genau genommen höre ich alles außer Techno und volkstümliche Musik (bitte nicht verwechseln mit Volksmusik). Jazz, Ska, Reagge, Blues, Klassik, Soul, Funk, Folk. Alles meins. Aber Rockmusik ist dabei die ehrlichste Form der Musik.

Auch wenn es sich in manchen Richtungen des Rocks nicht so anhört, man muss einiges können um diese Musik zu machen. Sei es im Proberaum, live auf der Bühne oder im Studio. Im Gegensatz zu elektronischer Musik muss der Musiker auf den Punkt präzise sein. Keine Software um ein Schlagzeug zu simulieren, oder Soli immer exakt gleich zu spielen. Selbst mit dem Hilfsmittel Metronom ist der Drummer gezwungen immer genau zu agieren. Computer verspielen sich nicht, ein Schlagzeuger kann durchaus mal neben dem Takt schlagen, oder einen Stick verlieren. Die schwäbische Band Schwoißfuaß hat es bei Wenn D’Masga vrrutschd (Wenn die Maske verrutscht) auf das wesentliche reduziert: Und hauts de naus, no musch so dua als wärs mit Fleiß bassiert (Wenn du dich verspielst, dann musst du so tun als wäre das Absicht gewesen).

Die Arrangements sind auch nicht ohne. Immer wieder greifen Rockmusiker auf Elemente der anderer Stile zurück. Hört man sich die einige Platten von Meat Loaf an, dann hört man die Klassik in jeder einzelnen Note. Geschrieben wurden die Alben die ich meine im übrigen von dem begnadeten Jim Steinman, bei dem man oft Richard Wagner durch hören kann. Volbeat macht im Grunde Country und Rockabilly. Nun gut, sie spielen es etwas schneller und die Gitarren sind auch verzerrt. Dennoch kann man auch hier die Herkunft nicht verleugnen. Selbst die guten alten Deep Purple spielten im Grunde eine Mischung aus Klassik und Jazz, die sie dem 2012 verstorbenen Keyboarder Jon Lord zu verdanken hatten. Mit Richie Blackmore an der Gitarre waren Deep Purple dann eine fulminante Hard-Rock Band. Selbst Steve Stevens und Billy Idol griffen auf alte Schlager der 50er zurück. Wenn man Money Money hört könnte man das fast nicht glauben. Sieht man sich an, was Andy Summers von The Police für Akkorde spielt, dann kann einem schwindlig werden, obwohl es sich im Grunde sehr einfach anhört. Über die Bassläufe von Flea der Red Hot Chili Pepers braucht man kein Wort verlieren. Kompliziert wäre noch zu einfach.

Rockmusik hat eine unbändige Kraft. Wo uns Schlager leichte und beschwingte Melodien kredenzen, ist der Rock eine Energieform, die auf Konzerten explodiert, ja fast zur Supernova wird. Auf der Bühne kann man richtig die Sau raus lassen und die abgestrahlte Energie dem Publikum weiter geben, das das dann frenetisch aufnimmt und wie ein Spiegel wieder zu den Musikern zurück wirft.Die ganze aufgestaute Wut die in einem ist kann endlich raus. Und zwar in einer wilden, aber komischerweise sehr friedlichen Art und Weise. Rockmusik ist dabei wie ein Ventil, vergleichbar wie an einem Druckkochtopf. Ohne Ventil explodiert alles irgendwann.

Rockmusiker machen sich nicht viele Gedanken um Geld, Ruhm oder Plattenverkäufe. Sofern es entweder nur ein Hobby ist oder man davon leben kann. Man ergibt sich einfach der Musik und wartet was passiert. Wenn es klappt mit Geld und Ruhm ist das natürlich auch nicht schlecht. Aber in anderen Bereichen, gerade im Pop und Radiomusik werden Titel am Reissbrett konstruiert, um in den Charts Erfolg zu haben. Es ist ein Geschäft bei dem es um Millionen geht für die Labels. Nicht für die Musiker, die werden teils gecastet, teils für Aufträge im Studio angeheuert. Diese bekommen ihr kleines Salär, der Gewinner von DSDS ein halbes Jahr Ruhm dazu und schon steht der nächste Act mit dem nächsten Titel an. Diese Musik unterliegt dem berühmten „Produktlebenszyklus“. Wer kennt den Gewinner der zweiten Staffel Voice of Germany? Die wenigsten. Wer kennt Stairway to heaven? Im Prinzip alle.

Rockmusik ist kein Lärm. Es ist ehrliche Musik, die einem Kraft gibt und in einer gewissen Lautstärke gehört werden muss. Das hat zur Folge, das ich meine Lieblingsmusik nur dann richtig hören kann wenn meine Frau nicht da ist. Sonst heisst es wieder:
Mach jetzt endlich diesen verdammten Krach leiser!

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Meine alte Band im Proberaum. Ich bin der mit dem Huhn