Der Garten des Lebens

Im chinesischen gibt es ein schönes Sprichwort:

Wenn du eine Stunde glücklich sein willst, dann betrinke dich
Wenn du ein Jahr lang glücklich sein willst, dann heirate
Wenn du ein Leben lang glücklich sein willst, dann geh in deinen Garten

Zunächst mag es etwas sinnfrei sein, wie so viele schlaue Sprüche. Aber man sollte sich die Zeit nehmen und ein bisschen darüber nachdenken, irgendwann kommt die Erkenntnis, ja es stimmt. Um es dem Leser etwas leichter zu machen, möchte ich meinen Senf dazugeben. Genauer darüber nachdenken darf allerdings jeder mal für sich selber.

Viele kennen das, nach dem 4. Bier aus dem 3. Kasten ist die Welt wieder in Ordnung. Alle Sorgen sind weit weg, man macht Party, feiert mit Freunden, oder sitzt alleine an der Theke und shakert mit der Bedienung. Jemand erzählt einen Witz und egal wie schlechtt er ist, man lacht eben. Mit jedem Drink rückt der Alltag in immer weitere Ferne, läßt man sich gehen tanzt man sogar in der Disko, obwohl man weiss, dass man sich eigentlich lächerlich macht. Schließlich können alle anderen tanzen, nur selber kann man nicht. Aber egal, das Unterbewusstsein sagt einem „Scheiß drauf, die anderen können das in Wirklichkeit auch nicht.“  Ein kleiner Flirt hier und ein Bussie da, das ganze Dasein ist purer Spaß und Hedonismus in Reinstform.

Am nächsten Tag kommt das böse erwachen. Ein Schädel der bei der kleinsten Bewegung zu explodieren droht, ein Geschmack im Mund als ob darin nasse Hunde kopuliert hätten und der verdammte Alltag hat einen wieder. Schlecht bezahlte Jobs, neidische Nachbarn und die Gören von nebenan machen einem wieder das Leben zur Hölle. Aber in der kurzen Zeit der Betrunkenheit, da war man glücklich, auch wenn der Preis hoch ist. Man war für eine Stunde glücklich

Man lernt einen Menschen kennen und lieben, irgendwann zieht man zusammen und eines Tages wird geheiratet. Und sei es nur wegen der Steuer. Nach einem Jahr der Glückseligkeit übernimmt der Alltag die Kontrolle, man sieht nicht mehr über die Fehler des anderen hinweg, sondern man sieht sie wirklich. Aus der Flasche trinken, die Zahnpastatube in der Mitte drücken und überhaupt unterstützt einen der andere nicht genug. Die Unzufriedenheit nimmt zu. Hobbys werden nicht geteilt, gemeinsam aus gegangen ist man auch schon lange nicht mehr. Und Sex gibt es nur zu Feiertagen.

Eines Tages kommt der Punkt an dem man merkt: Man hat sich auseinander gelebt. Aber was tun? Für die ältere Generation ist es einfach, man rauft sich zusammen und wurschtelt sich weiterhin irgendwie durch das Zusammensein. Scheidung? Kommt gar nicht in Frage und wenn man noch so unglücklich ist. Trotzdem gibt es mehr als genug Scheidungen, die wilden Ehen sind dabei noch nicht mal erfasst. Dann wird es Zeit, daß man sich nach etwas anderem umsieht. Der neue Partner mag aufregend und vieeel besser sein als der andere, aber trotzdem ist das auch nicht fürs ganze Leben, alles geht von vorne los. Immerhin, das Jahr das man in der Ehe hat ist ein glückliches.

Nachdem man im Suff geheiratet hat, wieder nüchtern ist und die Scheidung endlich Rechtsgültigkeit erlangt hat sucht man dann nach Ablenkung. Was gibt es schöneres als in den Garten zu gehen? OK, mir persönlich fallen da sehr viele Dinge ein, Gartenarbeit ist wie der Name schon sagt arbeit. Meistens viel und noch mehr arbeit. Im Frühjahr wird geputzt, gesäht, im Sommer verwaltet, der Herbst läßt alles welken und im Winter ist alles tot. Doch genau dies ist der springende Punkt.

Nachdem die Beete umgegraben sind fängt man an zu pflanzen und zu sähen. Mit den eigenen Händen erschafft man neues Leben und gestaltet das Werk nach seinen Wünschen und Vorstellungen. Jeden Tag geht man in den Garten, gießt die Sprösslinge, sieht zu wie sie langsam größer werden und alles wächst. Man erfreut sich, wenn die Blüten langsam aufgehen und die Bäume und Sträucher mit ihren nun grünen Blättern Schatten vor der sengenden Sonne spenden. Alles steckt voller Kraft und man wähnt sich im Paradies.

Im Herbst beginnt der Verfall. Blätter werden braun, die lila Blüten weichen einer Kargheit, Früchte wurden schon alle geerntet. Man sieht jeden Tag wie aus dem Paradies eine Tristesse wird und denkt mit Wehmut an den vergangenen Sommer. Im Winter herrscht dann der Tod. Kahle Bäume, nackte Erde statt Blumen. Das miserable Wetter tut dabei sein übriges, aber egal, es gibt im Winter nichts zu tun, außer auf den Frühling warten. Man fühlt sich leer, alles ist so trostlos. Allerdings ist dieser Zustand nicht von Dauer, denn bald schon geht es wieder mit sähen los und der Kreislauf beginnt von neuem, Jahr für Jahr für Jahr.

Nach vielen Jahren hat man etwas gelernt. Nicht nur über seinen Garten, sondern etwas über das Leben. Das Leben verhält sich ähnlich wie ein Garten. Es wird mit und durch Liebe gesät, manchmal auch durch einen Unfall mit spröden Latex. Wie dem auch sei, ein Kind entsteht. Es wächst heran, wird größer. Wir erfreuen uns an der Tollpatschigkeit wenn die kleine Laura noch nicht richtig laufen kann und an den altklugen Sprüchen von Felix, der schon mit 8 Jahren alles zu wissen glaubt. Später sind wir stolz auf die Kinder, der Abschluss ist geschafft, der Job ist toll und wenn wir mal ehrlich sind: Jeder hat das beste und schlauste Kind von allen. Selbst wenn diese schon erwachsen sind. Ab und zu greifen wir ihnen unter die Arme, wie die Kletterrose an ein Gerüst gebunden wird. In all dieser Zeit werden wir alt bekommen Enkel und Urenkel.

Doch eines Tages wird auch uns einmal der Tod abholen kommen. Natürlich hoffen wir alle so spät wie möglich, aber auf ewig kann man es nicht ziehen, trotz den modernen medizinischen Fähigkeiten die wir haben. In unserem Herbst blicken wir zurück auf das was wir getan haben. Manches war gut, manches nicht, manches hätte man lieber anders gemacht. Doch dazu ist es nun zu spät, wir treten bald ab, der Winter herrscht in unserem Lebensjahr. Runzlig auf dem Sterbebett liegend denken wir was wir im Garten gelernt haben. Alles ist ein nicht enden wollender Kreislauf, wir sind Teil von ihm. Deshalb wissen wir schon lange was uns wirklich glücklich macht. Die Erkenntnis, das alles war, alles ist, alles sein wird.

Schon im Garten wurde uns dies bewusst, daher erfüllt uns dieser Kreislauf nicht mit Groll weil wir gehen müssen, sondern mit Glück weil wir Teil eines natürlichen Kreislaufes sind. Wir lernen im Garten das alles eine Zeit hat, so auch der Mensch als Person. Entstehen, Sein und Vergehen können wir in unserem Garten sehr anschaulich lernen. Wir können den Kreislauf förmlich sehen und erkennen eines Tages, das wir ein Teil des Ganzen sind. Dies sollte uns glücklich machen. Und weil wir in diesem Kreislauf wieder zurück kommen. Eines Tages.

herbstDer Herbst beginnt, die Blüten treten ab bis nächstes Jahr